Fast 15 Jahre hier und noch immer baff

17
8207

Ich lebe nun schon fast 15 Jahre in Spanien. Da sollte man eigentlich annehmen, dass ich bereits alles gesehen habe und mich nichts mehr überrascht. Weit gefehlt! Und ehrlich gesagt bin ich froh darüber, denn – wie ich gerne wiederhole – bewahre ich mir gerne meine Fähigkeit zu staunen, gerade als Deutscher in Spanien. Ohne diese Fähigkeit wäre ich ja auch kein Alemol mehr, oder?

Heute möchte ich drei spanische Gewohnheiten ansprechen, die mich noch immer erstaunen, weil sie sich so sehr von meiner Ausgangskultur unterscheiden. Die erste ist ein Laut, den viele von euch Spanier benutzen, um jemanden auf euch aufmerksam zu machen, vor allem auf offener Straße. Dieser Ruf ist so sehr im Alltag verankert, dass er im Spanischen sogar ein eigenes, sehr lautmalerisches Verb besitzt: „chistar“. Ich gewöhne mich einfach nicht daran, dieses „chist“ auf der Straße zu hören, denn für mich klingt es so, als soll jemand mit einer Art „pssst“ zum Schweigen gebracht werden. Bemerkenswert ist, dass sich bei diesem Laut meist alle Leute umdrehen, außer der angesprochenen Person. Doch statt zu einer wirksameren Methode zu greifen, lässt der Rufer weiter sein „chist“ erklingen. Klingt witzig, ist aber eher nervig …

Diese Gewohnheit überrascht mich gerade in Anbetracht einer weiteren, die ich bereits in einem anderen Artikel kurz angesprochen habe: In Spanien überwinden viele Menschen jeder Art von Kommunikationsschwierigkeiten mit einer ganz besonderen Methode: Schreien. Du willst mit jemandem sprechen, der mehr als zehn Meter entfernt ist? Schrei! Du willst mit jemandem telefonieren, doch die Verbindung ist mies. Schrei! Du willst einem Ausländer etwas mitteilen, der dich nicht versteht? Schrei ihn an! Du willst dich in einem lauten Lokal mit jemandem unterhalten? SCHREI LAUTER als die anderen! Offenbar gibt es nichts, was man nicht mit ein paar zusätzlichen Dezibel bewerkstelligen könnte. Nicht umsonst steht Spanien im Ruf, das zweitlauteste Land der Welt zu sein (nach Japan) …

Ist das vielleicht auch der Grund für eine weitere spanische Gepflogenheit, die sich ebenfalls ziemlich von der deutschen Kultur unterscheidet? Ich meine den Applaus, mit dem man hier Tote verabschiedet. Ich war gerade erst in Spanien angekommen, als die ETA ein Attentat verübte. Bei der anschließenden Gedenkfeier fingen die Gäste nach einer Schweigeminute plötzlich an zu klatschen. Ich war wie versteinert und konnte es nicht fassen: Waren es etwa ETA-Anhänger? Klatschten Sie Beifall für den gewaltsamen Tod der Opfer? Später erfuhr ich, dass Spanier so ihrer Verstorbenen gedenken, insbesondere wenn sie eines nicht natürlichen Todes gestorben sind. Allerdings hat mir der Fall des kürzlich verstorbenen ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Adolfo Suárez gezeigt, dass die Menschen ihre Trauer manchmal auch mit einer Mischung der Gewohnheiten eins und drei zum Ausdruck bringen: mit Schreien (in diesem Fall „presidente, presidente“) und Applaus … und sogar mit Hochrufen! Na ja, „hurra“ hört man nicht, aber „bravo“ und „viva“ klingen für mich genauso komisch. Das war auch die Geräuschkulisse bei der Beerdigung von Stargitarrist Paco de Lucía:

Wie gesagt, nach all den Jahren müsste ich eigentlich daran gewöhnt sein, aber mich erstaunt noch immer dieser Hang zur Lautstärke in Situationen, in denen wir Deutschen eher leise sind.

 

 

17 KOMMENTARE

  1. Ich hatte schon gedacht, dass Du einen Aprilscherz vorbereitet hättest, aber ich sehe, es ist alles ganz ernst. Sehr schön und treffend beobachtet! Ich nehme, Deine Erlaubnis vorausgesetzt, das chistar mit in meinem eigenen Blog, ich muss nur eine Geschichte dazu spinnen. Oder möchtest Du das selber machen und mir die Arbeit abnehmen? Mit cut&paste aus diesem Beitrag hättest Du schon die Hälfte erledigt. Como prefieras.

    • Hallo, Jordi! Ja, der Artikel ist bierernst gemeint (übersetz das mal, haha). Einen Aprilscherz habe ich mir in FB erlaubt, wo ich meinen angeblichen Wechsel zur NSA ansprach: http://goo.gl/UYDLou
      Es freut mich, dass dir “chistar” zugleich neuen Stoff für deinen Blog liefert. Du kannst meinen Artikel gerne ganz oder auszugsweise verwenden. Ich habe diese Woche leider zu wenig Zeit, um selbst noch eine (neue) Geschichte dazu zu spinnen …
      ¡Saludos!

    • Na ja, was soll man denn dazu sagen……………..

      Ich bin Spanier und wohne nun seit etwa fünf Jahren in Deutschland, genauer gesagt, in Bayern, und nehemen mich immer noch im hohen maße etwelche Gepfogenheiten wunder, die man allerdings nicht unbedingt auf das gesamte deutsche Gebiet schließen sollte.
      Auf das Schreien zum Beispiel in einer Disco wird man sowohl in Spanien als auch in Deutschland zurückgreifen müssen……gescheweige denn, wenn eingefahrene Deutche sich der Verständigung mit einem der deutschen Sprache nicht kundigen Ausländer befleißigen……
      Was mich allerdings sehr wundert hier in Duetschland, und ich sage Deutschland, weil es ein flächendeckendes Problem zu sein scheint, ist dieser unerklärlicher Eifer, den die meisten Deutschen an den Tag legen, innerhalb von sekunden eine Verhaltensänderung zu durchlaufen sobald sie ihr allerheiligstes Heiligtum besteigen, ihr AUTO……die scheinen sich alle in Respektlose Geschöpfe zu verwandeln, die scheinbar nur darauf warten, dass man auf der Autobahn 100 fährt um ausgehupt zu werden…..

      • Danke, David. Wenn man in einer anderen Kultur aufgewachsen ist, fallen einem sicher immer wieder solche kulturellen Unterschiede auf. Und ja, manche Dinge sind dennoch universa, wie das Schreien, um sich mit einem sprachunkundigen Ausländer zu verständigen. Das ist mir hier in Valencia auch oft passiert. Und dass die Menschen hier im Auto auch “zum Tier” werden, davon kann ich in Valencia auch ein Lied singen 😉

        • Hallo André!!!!

          Das glaube ich dir unbesehen, zumal das Auto in den allermeisten kulturen zu einem Symbol der Ich-Identifikation geworden ist, das sich eher darüber hinaus einer potenziellen Waffe nähert als einem Zwecksmäßigen Gegenstand, und dient zugleich als Zufluchsort, aus dem man seine Frustrationen an allen Verkehrsteilnemern abreagieren kann.
          Ich habe mit meiner Bemerkung daran anführen wollen, daß es selbst in den entlegensten Winkeln Deutschlands Menschen fuderweise gibt, die sich am Steuer schandbar betragen.
          Das ist eine Beobachtung, die ich nur in Deutschland machen konnte.
          Ich muss jedoch gleichwohl anmerken, dass die Deutschen, oder zumindest jene die ich kenne oder gekannt habe, sich vielmehr durch seine Positiven Eigenschaften abheben, wie beispielweise die Höfflichkeit, die in Spanien viel zu wünschen übrig lässt, als die Negativen, von denen es leider und allzu oft überall auf der Welt gibt.

          Man muss auch schlussendlich sagen, dass einem zuweilen in den jeweiligen Ländern umso mehr Unterschiede auffallen, je länger man einem der Ländern ferngeglieben ist, denn wie ein Großer deutscher Philosoph sagte; die Ereignisse werden im Gedächtnis meistens verklärt, und man neigt deshalb dazu der Vergangenheit nehr Bedeutung beizumessen, als sie es überhaupt wert war…..

          Grüsse, David

  2. ¡Hola!
    Ay, no, no se trata de ninguna inocentada, por desgracia… Pero que conste que yo nunca me vuelvo cuando oigo un “chist”, entre otras cosas porque me gusta pensar que no conozco a nadie que use ese método para llamar la atención. Ya ves: soy española y tampoco me he acostumbrado jamás a esa práctica, que muchos consideramos de mala educación.
    Cambiando de tercio, no sé cómo lo haces. ¿Cómo puedes tener tiempo para taaaantas cosas? Aprovechando un ratito libre, me he leído tus últimas entradas. Tú, sin duda, entras en la categoría de las estrellas.
    ¡Un beso!

  3. Muy bueno el artículo! Pero permíteme un apunte, los alemanes también hablan alto a los extranjeros, lo tengo comprobadísimo… en cuanto le digo a alguien “wie bitte?”, lo arreglan subiendo el tono. 😉

  4. Casi 25 años en Alemania. El Fahrleherer que tenía me gritaba como que lo estuvieran matando, seguramente pensaría que extranjeros no entienden alemán más que a los gritos. Problemas con el jefe? en mi vida vi a alguien gritar más, eso sí, sin tener razón alguna, sin más argumento que el grito. Por suerte le pude pasar encima apelando a superiores a su ilustre persona gritona, desde entonces una seda
    En todas partes se cuecen habas, sólo hay que buscar el alemán indicado y se comporta como hispano de raza

    • Muchas gracias por comentar tus propias experiencias. Claro, generalizar es malo, pero me gusta que, a pesar de nuestra buena integración en la cultura tras tantos añis, hayamos conservado la capacidad de sorprendernos con cosas. El día que nos acostumbremos a todo y nada nos sorprenda, la vida ser volverá muy aburrida.

      Saludos,
      André

  5. Soy española y lo de aplaudir en los entierros siempre lo he encontrado raro y sólo lo he visto en la tele, tras muertes de gente “ilustre” o por catástrofes varias…

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here