Krise? Welche Krise?

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Ich muss vorwegnehmen, dass ich natürlich keineswegs die aktuelle Wirtschaftskrise leugne, denn sie hat auch in meiner Branche (Übersetzer und Dolmetscher) gewütet. Allerdings kann ich behaupten, dass ich persönlich nicht von der Krise betroffen bin, und möchte heute meine persönlichen Vorbeugungsmaßnahmen zum Besten geben. Vielleicht nützen sie ja anderen Selbstständigen, die in der Branche Fuß fassen oder ein berufliches Tief überwinden möchten. Ich habe selbstverständlich keine Allroundlösung zu bieten, aber in meinem Fall haben mir die folgenden Grundsätze geholfen, die auf einem einzigen Konzept basieren: der Diversifizierung.

  • Diversifizierung meines Kundenkreises: Ich bin selbstständig tätig und würde mich daher nie mit nur einem Kunden „einlassen“, selbst wenn er mir noch so viel Arbeit verspräche/bescherte. Sollte er eines Tages wegfallen, müsste ich nämlich wieder von vorne anfangen … Darüber hinaus versuche ich auch, nicht von einigen wenigen Kunden abhängig zu sein, da diese meist keine kontinuierlichen Aufträge haben. Bei einem ausgedehnten Kundenkreis kommt es zwar an manchen Tagen vor, dass mehrere „Eilaufträge“ zusammenfallen und ich sozusagen mit den Aufträgen jonglieren muss, doch generell kann ich bestätigen, dass ein großer Kundenstamm eher beruhigend ist.
  • Diversifizierung meiner Kundentypen: Sowohl für Übersetzungsagenturen als auch für Privatleute und kleinere und mittlere Unternehmen zu arbeiten, bietet mir nicht nur Rückendeckung, sobald einer dieser Kundentypen von den Launen des Marktes betroffen ist (was einigen Übersetzungsagenturen im Rahmen der aktuellen Krise widerfährt). Vielmehr kann ich so auch meine Fachgebiete erweitern oder aber mich auf ein bestimmtes Gebiet (Technik, Kultur, Recht, usw.) spezialisieren. Ein weiterer Vorteil ist, dass ich so das Pro und Kontra jedes Kundentyps (schnelle vs. späte Zahlung, kontinuierliche vs. sporadische Aufträge, usw.) abschätzen und mich je nach Bedarf auf den einen oder anderen Kundentyp ausrichten kann.
  • Diversifizierung meines Kundeneinzugsgebiets: Es mag vielleicht einfacher sein, mich auf Kunden in meiner Stadt, Region oder meinem Land zu konzentrieren, doch bietet mir das Internet die Chance, mit Kunden in aller Welt zusammenzuarbeiten – eine Chance, die ich nutze! So habe ich die Möglichkeit, je nach Zielmarkt einen besseren Tarif zu erzielen, und sichere mich dagegen ab, dass mir die Wirtschaftskrise eines bestimmten Landes eine persönliche Wirtschaftskrise beschert.
  • Diversifizierung meiner Leistungen: Die Sprachenbranche ist wie geschaffen für verschiedenartige Leistungen. Ich übersetze, dolmetsche, verfasse Texte, lese Korrektur, untertitele, fungiere als Off-Sprecher und biete Sprachberatung, kenne aber auch meine Grenzen und gebe beispielsweise keinen Sprachunterricht, da mir Berufung, Didaktik und Geduld fehlen.
  • Diversifizierung meiner Fachgebiete: Anders als Übersetzer und Dolmetscher, die sich auf ein bestimmtes Fachgebiet spezialisieren (Recht, Literatur, usw.), erachte ich mich als Allrounder und bearbeite verschiedene Bereiche. Doch auch hier sind mir meine Grenzen bestens bekannt, sodass ich zum Beispiel Texte aus der Finanzwirtschaft und Buchführung meide.
  • Diversifizierung meiner Lösungen: Wenngleich wir Selbstständigen ungern unsere Kunden mit anderen teilen, kann ich aus Erfahrung sagen, dass die Kunden auch dann hocherfreut sind (und treu bleiben!), wenn ich ihnen Lösungen für ihre sprachlichen Bedürfnisse über Dritte biete. So empfehle ich ihnen Kollegen mit anderen Fachgebieten oder Sprachkombinationen, die ich nicht abdecke, und verweise sie auch direkt an „Konkurrenten“, wenn ich einen bestimmten Auftrag aus Zeit- oder Kenntnismangel nicht übernehmen kann. Das Beste an solchen Weiterempfehlungen ist zweifellos der Bumerangeffekt …
  • Diversifizierung meiner Kontakte: Ich bin Mitglied in Übersetzer- und Dolmetscherverbänden und beteilige mich an mehreren berufsbezogenen Foren und Netzwerken, die mir den Kontakt zu vielen Kollegen ermöglichen. Damit vervielfache ich die Chancen einer Zusammenarbeit und erziele Erkenntnisse, die mich in jeder Hinsicht bereichern.

Last but not least halte ich es für unerlässlich, mich nie auf meinen Lorbeeren auszuruhen, denn alle vorstehenden Punkte können und müssen jederzeit optimiert werden.

4 KOMMENTARE

  1. Sehr viele Wahrheiten, die ich da lese in Deinem Artikel; lassen sich zum Teil auch gut auf andere Branchen übertragen. Wenn ich es mir richtig überlege, sind einige der von Dir genannten Punkte der Grund dafür, dass es UNS auch noch gibt… 😉
    Gruß
    Markus

  2. Sehr schön erkannt und sehr schön beschrieben. Ich finde gerade die Diversifizierung von Lösungen und Kontakten sehr wichtig. Als altives Mitglied im Vorstand eines Verbands für Sprachmittler muss ich aber sagen, dass sich sehr viele Kolleginnen und Kollegen damit sehr schwer tun. Wir waren im Vorstand der Meinung, dass in diesen Zeiten Seminare zu diesen Themen sehr wichtig sind. Aber die Reaktion derZielgruppe bestätigt dies leider nicht. Nun gut, ich selbst versuche jedenfalls danach zu handeln und würde daher deine Überlegungen eigentlich jedem selbstständig Tätigen ans Herz legen.
    Un saludo,
    Francisco

    • Vielen Dank, Francisco. Ich war hier in Spanien eine Weile im Vorstand eines Sprachmittler-Verbands tätig und musste auch feststellen, dass sich viele Neueinsteiger, aber auch manche alte Hasen lieber in technischer Hinsicht schulen, als sich für allgemeine Grundlagen der (erfolgreichen) Selbstständigkeit zu interessieren. Wenn du willst, kannst du meinen Artikel gerne weiterleiten oder verlinken … ¡Saludos y buen fin de semana!

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